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» ... da mußt' mit Händna, Füß' und Kopf arbeiten«
Arbeitswelt und Fachsprache der Handweber in Nordost-Oberfranken
sowie in einigen Orten im sächsischen Vogtland und in Böhmen
Ethnologische und dialektologische Dissertation, Universität Bayreuth 2004
Ganz entgegen des
landläufigen Bildes war die Arbeit des Handwebers ganz und gar
nicht monoton und anspruchslos. Vielmehr war die Handweberei ein
hochkomplexes Handwerk,
das zu beherrschen jahrelange Praxis erforderte. Geschildert wird,
wieviel Vorarbeiten nötig waren, bevor der erste Zentimeter
überhaupt gewebt werden konnte. Und dass es der Mitarbeit der
gesamten Familie bedurfte. Vorgestellt werden ausserdem die regionalen
Unterschieden in der Technik und im mundartlichen Fachwortschatz.
Der
persönliche Bezug
In
den 1990er Jahren war ich
als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt der
Universität Bayreuth beschäftigt: dem Sprachatlas für
NO-Bayern (SNOB). Ich hatte
den Auftrag, die Dialekte zwischen Gefrees
und Thüringen, zwischen Martkleuthen und Marktleugast zu
erheben.
Einer der Schwerpunkte dieses Sprachatlasses war es, die
Fachausdrücke aus der alten Landwirtschaft festzuhalten, also
etwa
die hartmelkende
Kuh, das Heuen,
die Biestmilch,
das Erdäpfelbeet,
den Heu-
oder Leiterwagen
mit all seinen Teilen (Wiesbaum,
Kipfe, Schwinge, Langwiede
usw.) bis hin zum Kultivator.
Damals erinnerte ich mich daran, was ich in meiner
Schulzeit in Sparneck gelernt hatte: wie wichtig einst die Handweberei
für die gesamte Region war. Tatsächlich lag diese
viel weiter
zurück als jene Landwirtschaft vor Einführung des
Traktors.
Es war also noch viel dringender die Fachsprache der Handweber
festzuhalten.
So befragte
ich in den 1990er Jahren etwa 80 Personen aus 50 Ortschaften
– vor allem
im Frankenwald, aber auch im bayerischen Vogtland, im Fichtelgebirge,
im sächs. Vogtland, in Roßbach sowie mehrere
Informanten,
die aus dem westlichen Böhmen stammten.
Die
Vor- und Parallelarbeiten
oder
Der Zyklus der Arbeitsschritte
Hatte
der Weber vom Fabrikanten
das Garn in Strängen geholt, musste er anhand der
mitgelieferten
Webaufgabe, dem Muster
oder Musterzettel
berechnen [Kopfarbeit],
wieviel Spulen er von jeder Farbe brauchte, wie lang er die Kette
(den Zettel)
anlegen musste, um am Ende auf die geforderte Länge der
fertigen Ware zu kommen. Hierzu gehörte nicht nur die
Fähigkeit, gut rechnen zu können, sondern auch
Erfahrung.
Sodann musste das Garn für die Kette am Spulrad auf eben jene
Spulen aufgespult werden. Dann kam das Schweifen
oder Zetteln,
also das
Herstellen der Kette
oder des Zettels,
wie die Längsfäden des
Gewebes im süddeutschen Sprachraum genannt werden. Dieser
Zettel musste auf den
Webstuhl gebracht werden, wozu drei Mann notwendig waren. Aufbäumen
wurde dieser Schritt genannt. Dann kam das Einziehen,
das Blattstechen
oder aber das Andrehen
und das Anweben
–
Arbeitschritte, die alle nochmals unterteilt waren. Das Weben selbst
konnte einfach sein oder hoch kompliziert und höchste
Konzentration
erfordern. Eine Besonderheit hierzulande war das Wechseln,
also das
Austauschen der Schützen
(Webschiffchen) mit den verschiedenfarbigen
Schußfäden während des Webens. Am Ende
stand das Liefern
der fertigen
Ware zum Fabrikanten, wo er
wieder Garn für
einen neuen Auftrag erhielt.
Bedingungen
Von grosser Bedeutung ist auch
die Frage, unter welchen Bedingungen die Handweberei
überhaupt
möglich war. Schliesslich musste mindestens ein
Familienmitglied
bereit sein, unentgeltlich mitzuarbeiten. Manche Vorarbeiten
erforderten
zwei bis drei Personen und auch manche Webarten machten es
nötig,
dass eine zweite Person (oft das grössere Kind) mit am
Webstuhl
sass und mitwebte – z.B. beim sogenannten Schützenfangen
bzw. dem eins-und-eins-Weben
oder dem Broschieren.
An jedem Arbeitstag musste jemand da sein –
meistens war dies die Ehefrau –, um die Schußspulen
zu
spulen, was als schbilla machen
bezeichnet wird.
Zu den menschlichen Bedingungen gehört auch das
Verhältnis
zu den Bauern. Denn ohne das aedunga
genannte
Verhältnis gegenseitiger Hilfe von kleinen
Leuten und Bauern hätten beispielsweise die gaasbauern
(Ziegenbauern) nicht existieren
können. Anders als in anderen Gegenden hatten die Weber und
Bauern
ein gutes Verhältnis. Jeder Bauer hatte seine miisdlaed (Mistleute),
für
die er den Mist auf die Erdäpfelbeete fuhr und andere
Fuhrarbeiten
übernahm, wofür die kleinen Leute wiederum dem Bauern
bei der
Ernte helfen mussten.
Zu beobachten war in den letzten Jahrzehnten der Handweberei, dass
Handweber sozial aufstiegen, dass aus ihnen ... – oder
besser: dass sie zusätzlich
Kleinbauern
wurden, die statt der sprichwörtlichen Weberskuh, also der
Ziege,
eine richtige Kuh hatten. Für die landwirtschaftlichen
Fuhrarbeiten konnten sich je zwei zusammenschliessen. Nicht selten war
der Besitz von zwei Kühen und einer Kalbin. Für jedes
Tier
musste auch der entsprechende Landbesitz vorhanden sein. In der
untersuchten Phase der Handweberei wohnten die Handweber fast
ausschliesslich im eigenen Haus.
Festhalten
am Handweberberuf
Wichtig
ist auch die Frage,
warum die Handweber so lange an ihrem Beruf festgehalten haben, obwohl
er so schlecht bezahlt war. Hierfür gibt es eine ganze Reihe
von
Gründen. Unter anderem dauerte es Jahrzehnte, bis die Maschinen
das
konnten, was der Mensch konnte. Vieles übernahmen sie, viel
Webarten starben einfach aus. Für den Unternehmer waren die
Handweber stets ein Arbeitsheer, auf das er in guten Zeiten
zurückgreifen konnte. Stockte der Umsatz, hatte er eben keine
Aufträge mehr zu vergeben, aber eben auch keinen finanziellen
Verlust, wie jene Fabrikanten, die festangestellte Arbeiter
beschäftigten. Auch konnte der Unternehmer dem Handweber Garn
geben, das so miserabel war, dass man es auf einer Maschine nicht
verweben konnte. Damit musste sich der Handweber herumschlagen. Aber
auch
ganz kostbare Garne waren nichts für die Maschinen. Beispielsweise
mit Kaschmir zu weben, erfüllte den
Weber mit Stolz. Grund zum Stolz hatte er
aber
auch aus anderen Gründen. Es ist nicht jener einfache,
einem
bestimmten Beruf anzugehören. Sondern auf Grund von Erfahrung
in
der Lage zu sein, immer wieder knifflige Situationen zu meistern, gaben
ihm ein hohes Selbstwertgefühl. Wegen dieser Kompetenzen waren
dann in den mechanischen Webereien die Handweber
gern gesehene Arbeiter.
Geschichte
der Handweberei seit den 1920er Jahren
Die
letzten Monographien
über die Handweberei im hiesigen Gebiet erschienen in den
1920er
Jahren. Wie es seitdem weiterging, ist ebenfalls Thema dieses
Vortrages. Dabei gab es unterschiedliche Entwicklungen in Oberfranken,
in Westböhmen und später in der DDR.
Nazi-Zeit in
Oberfranken:
durch den 4-Jahresplan und die Kontingentierung der Rohstoffe sowie dem
Zwang, das ganze Jahr über gleichmässig viel (auf
Lager) zu
produzieren, weil sonst der Fabrikant keine Zuteilung mehr bekommen
hätte, gab es keine saisonale Arbeitslosigkeit (in der Wollweberei
von
Weihnachten bis Ostern) mehr.
Nazi-Zeit in
W-Böhmen: durch die
Abschottung der deutschen Wirtschaft
und dem Ziel, alles im Inland zu produzieren, fehlen die
Aufträge
aus dem Deutschen Reich bis zum Anschluss des Sudetenlandes 1938. Erst
dann gab es dort wieder Aufträge.
In beiden Fällen werden von vielen die vermeintlichen
Verbesserungen als Vorteile des Nationalsozialismus missverstanden.
Während des Krieges waren nicht nur die
meisten
Handweber als Soldaten im Feld, sondern auch die Textilproduktion ging
mehr und mehr zurück – bis hin zur gänzlichen
Umstellung der
mechanischen Weberei auf Rüstungsindustrie. Viele Frauen und
ältere Männer webten – allerdings zunehmend
mit minderwertigem
aus Reißwolle gewonnenem Garn wie dem sogen. munggo oder vichund – oder
mit Kunstseide und schliesslich mit Ersatzstoffen (aus Papier).
Nachkriegszeit in
Oberfranken:
Kriegsheimkehrer und viele junge Menschen wählten den
Handweberberuf, da die (eben auf Rüstung umgestellten)
Webereien
erst wieder aufgebaut werden müssen. Ausserdem sind die
weggeräumten und vorher schon lange Zeit nicht in Stand
gehaltenen
Webmaschinen kaum noch zu gebrauchen. Allmählich kauften sich
die
Handweber mechanische Webstühle und wurden Lohnweber. Nur noch
wenige, vor allem ältere Menschen, webten weiterhin mit der
Hand.
Spätestens seit den frühen 70er Jahren spielten die
handgewebten Decken und Schals für die
Gesamtproduktion der Fabrikanten keine Rolle mehr.
Nachkriegszeit in
der
Roßbacher Gegend:
Die nicht ausgewiesenen Handweber wurden
mit noch vorhandenen Garnen beschäftigt bzw. mit Restposten
aus
der mechanischen Weberei in den Kombinaten.
Nachkriegszeit in
der DDR:
hier bestand die Handweberei am längsten fort.
Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGHs) vergaben Aufträge
bis
in die 1980 Jahre. Es gab aber auch selbständige
Familienbetriebe. Dadurch, dass man wenig kaufen konnte, war allgemein
reichlich Geld vorhanden. Die wenigen Konsumgüter hatten einen
hohen Wert. Die Zahl der etwa 50 Handwebmeister der DDR schrumpft nach
der Grenzöffnung auf nur wenige zusammen, die sich mit
Kunstgewerbe und zusätzlichem Handel versuchten, über
Wasser
zu halten. Das totale Aus kam von einem Tag auf den anderen mit der
Einführung der D-Mark. Aufträge wurden storniert,
neue nicht
mehr erteilt.
Vortrag zur Arbeit
»Handweber
im 20. Jahrhundert«
Von der Arbeit und der mundartlichen Fachsprache der Handweber in
NO-Oberfranken, West-Böhmen und im Sächsischen Vogtland.
Auf eigener Forschung basierender Vortrag mit Fotos,
Arbeitsgerät
und Textilien
Presseberichte
Ältere Berichte in der lokalen Presse über den Vortrag, gehalten in::
Rehau,
Nov. 2000
Sparneck, Mai 2001
Münchberg,
Okt. 2007
PDF
Von der im Februar 2004 eingereichten Untersuchung in der damaligen Version kann hier ein Auszug eingesehen werden, als (undruckbare,
nicht kopierbare)
PDF
mit folgenden Teilen:
– Titel
– Inhaltsverzeichnis
– Einführung
– Auszüge aus Kapitel »Die Arbeit des Handwebers und seiner Helfer« inkl. das »Metzen«
– Beispielseiten aus dem Wörterbuchteil oder kommentierten Verzeichnis der Fachausdrucke aus der Handweberei
– Ortsverzeichnis
zu den Erhebungsorten
– eine Karte des Untersuchungsgebietes mit den Erhebungsorten sowie
– eine Übersicht zu den Zeichen der verwendeten Lautschrift
Huebschmann_Handweben_Auszuege.pdf
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